Erkenntnisgewinnung und Konsequenzen für den CU

Wissenschaftstheorie – wie Naturwissenschaftler Erkenntnisse gewinnen

Konsequenzen für den Unterricht: Erkenntnisgewinnung umsetzen, naturwissenschaftliche Arbeitsweisen nutzen

Die Chemie – eine Naturwissenschaft – eine empirische Wissenschaft

  • Wissen ist nachvollziehbar und grundsätzlich reproduzierbar
  • Wissen wird in einem System von Begriffen, Aussagen, Theorien dargestellt
  • untersucht Phänomene der Natur: den stofflichen Aufbau der Welt
  • Komplexe Phänomene werden durch Wechselwirkungen (einfacherer) Teilsysteme erklärt („das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile)
  • Zielt auf möglichst einfache Erklärungen ab – Komplexitätsreduktion durch wissenschaftlichen Fortschritt
  • ist in viele spezialisierte Disziplinen ausdifferenziert (organische Chemie, Biochemie, physikalische Chemie…)
  • greift auf allgemein akzeptierte Fachmethoden zurück

empirisch: erfahrungsbasiert

Idealisierter Weg der Wissenskonstruktion:

Beobachtung => Folgerungen => theoretische Einbettung

Ziel des CU: Kennen und sinnvolles Anwenden der Fachmethoden

Wissen um die „Natur der Naturwissenschaften“ – Erkenntnisgewinnung und Wert der Erkenntnisse (Stellenwert des Wissens etc.).

Von der Natur zu ihrer Deutung

Beschreibung und Beobachtung von Phänomenen – mit den Sinnen erfahrbar

Folgerungen daraus (Hypothesen) sind konstruiert => Gesetzmäßigkeiten, Theorien werden aus einem System von Folgerungen konstruiert

Naturwissenschaftliche Aussagen sind Bedingungsaussagen (wenn…dann) und empirisch überprüfbar.

Die Fachmethoden der Chemie („naturwissenschaftliche Arbeitsweisen“)

Kern: Beobachten, Experimentieren

Alle Erkenntnisse müssen reproduzierbar sein. Überprüfungen von Folgerungen (z.B. Experimente/ Beobachtungen) sind grundsätzlich wiederholbar und führen zu den gleichen Ergebnissen (Fehlerdiskussion/ gewisse Abweichungen treten oft auf)

Erkenntniswege:

  • axiomatisch-deduktiv (Deduktion)

vom allgemeinen Gesetz/ einer Theorie auf das Besondere/ den Einzelfall schließen

Beispiel: Massenerhaltungsgesetz: Was ist zu erwarten, wenn wir dieses Blatt Papier verbrennen?

(„reine“ Deduktion kommt nur in Logik und Mathematik vor: Deduktionsschlüsse werden dort nicht an der Erfahrung überprüft)

  • Induktiv: [Induktion in diesem Sinne kommt nur in der Logik vor)

Vom Einzelfall auf eine allgemeine Theorie schließen.

Beispiel: Ein Stein fällt ins Wasser – was ist zu erwarten?

  • empirisch-induktiv (=) hypothetisch deduktiv

Dazu gehören: Abstrahieren, Verallgemeinern, Hypothesenbildung, Theoriebildung, deduktive Ableitung von Folgerungen aus Hypothesen/ Theorien, Verifikation und Falsifikation von Folgerungen durch die Erfahrung (Experimente, Beobachtungen).

Erkenntnisgewinnung verläuft holprig, nicht glatt

Vorsicht Unterrichts-Falle: Nur rückblickend scheint der Weg glatt und schlüssig – kausal und wird im CU auch gerne als glatt/ „logisch“ dargestellt. Ein Fehler!

Grundwege zum wissenschaftlichen Fortschritt:

  • alte Vorstellung: Durch den oben beschriebenen konsequenten hypothetisch-deduktiven Ansatz wird wissen erweitert.
  • Popper: Falsifikationsprinzip: Theorien, Hypothesen… gelten als zutreffend, solange sie nicht falsifiziert werden. Fortschritt durch Falsifikation des Alten, dadurch wird neuen Ideen Geltung verschafft.
  • Lakatos: Wiss. Fortschritt im obigen Sinne funktioniert innerhalb bestehender Theoriegebäude, die so ausgebaut, erweitert, fundiert werden. Bahnbrechende neue Denkansätze/ Theorien/ Wissensfelder werden (oft auf Grundlage zufälliger Wahrnehmungen) durch Spekulation bzw. Geistesblitze erschlossen (z.B. Relativitätstheorie). Die neuen Denkansätze können wieder klassisch hypothetisch-deduktiv bearbeitet werden.
  • Kuhn: Wissenschaftlicher Fortschritt hängt auch an der Überzeugungskraft der neuen Ideen bzw. an ihrer Anerkennung in der Wissenschaftlergemeinde. Erst wenn diese erreicht ist, wird das Neue Teil des Wissens. Die Wissenschaftlergemeinde neigt aber zur Verteidigung altbewährter Ansätze.

Insgesamt gibt es auch kein klares „Schema“ des Erkenntnisweges, sondern viele Teilschritte, die immer dazugehören:

Phänomen/ Beobachtung –

Hypothesen [Modelle] – FolgerungenÜberprüfung, Deutung, Verallgemeinerung [Beobachtungen, Experimente] – Falsifikation/ Verifikation – Veränderung/ Anpassung der Hypothese (sie soll zum Phänomen passen) – … – [immer wieder] …Fehler, Irrwege…

auf größerer Grundlage Theoriebildung [Modelle], ggf. Formulierung von Gesetzen – Ableiten von Folgerungen – Überprüfung, Deutung…

und: Kommunikation im Fachkreis, Publikation, Verständigung der Fachleute – dann gilt die Erkenntnis als anerkannt, d.h. als „Wissen“.

Die Darstellung gilt v.a. so lange, wie Wissenschaftler sich in einem vorhandenen Theoriegebäude befinden und dieses ausbauen.

Wissenschaftliche Revolutionen, die völlig neue Wege erschließen, werden so nicht erreicht. Für diese sind Intuition, Spekulation und „geniale Momente“ wichtig – siehe etwa die Geschichte der Relativitätstheorie.

Ziel des CU: „scientific literacy“ – naturwissenschaftliches Denken, Wissen um die „Natur der Naturwissenschaften;

Erkenntnisgewinnung der Naturwissenschaften kennen und verstehen; Wissen um zentrale Aspekte der Erkenntnisgewinnung (Hypothesen, Theorien, Gesetze; Wissen)

Beobachtungen…

  • sind planmäßig herbeigeführte Wahrnehmungen (z.B.: in Experimenten).
  • werden von Erwartungen beeinflusst.
  • Wahrnehmung ist subjektiv.
  • siehe: Konstruktivismus
  • jeder Beobachtung geht eine Wahrnehmung und ein theoretisches Interesse voraus

Hypothesen…

  • werden spekulativ/ intuitiv gefunden, Grundlage sind Vorwissen, Erfahrungen, Beobachtungen
  • sind nicht verifizierbar, können aber erhärtet werden, wenn alle Folgerungen passen, d.h. verifiziert werden
  • eine Falsifizierung einer Folgerung muss zur Anpassung der Hypothese führen
  • sind falsifizierbar
  • werden so lange als zutreffend betrachtet, wie keine Folgerung daraus falsifiziert wurde

Was sind Theorien?

  • beschreiben Gesetzmäßigkeiten
  • erklären die Aussagekraft und die Gültigkeit/ den Geltungsbereich von Gesetzen
  • sind nicht beweisbar, aber falsifizierbar
  • erhärtete Hypothesen bzw. System von Hypothesen, damit selbst immer hypothetisch
  • sind grundsätzlich empirisch überprüfbar und prinzipiell falsifizierbar
  • Wenn eine Theorie nicht prinzipiell überprüfbar und widerlegbar ist, ist sie unwissenschaftlich

Was ist Wissen?

  • Sachverhalte existieren unabhängig von unserer Erkenntnis darüber (Atome gab es schon bevor entsprechende Vermutungen angestellt wurden)
  • Erkenntnisgewinnung über Sachverhalte generiert naturwissenschaftliches Wissen Wissenschaftlicher Fortschritt ist die Überarbeitung der Erkenntnisse
  • Wissen ist damit grundsätzlich revidierbar und veränderbar, nie endgültig, immer vorläufig
  • Wissen ist nicht verifizierbar, nicht beweisbar, nur erhärtet; Falsifizierbar
  • Wissen spiegelt immer den aktuellen Stand der Erkenntnisse über Sachverhalte wider
  • Wissen ist das aktuelle wissenschaftl. Urteil über einen Sachverhalt
  • Wissen muss an der Erfahrung scheitern können
  • Wissen ist wahr: Es wurde nach bestimmten Regeln produziert, gesichert und ist damit verlässlich
  • Wissen wird also nicht gefunden, sondern hergestellt (konstruiert)
  • Wissen ist wertfrei
  • Wissen ermöglicht Voraussagen (Hypothesen, aus denen überprüfbare Folgerungen abgeleitet werden)

Wissensformen

kognitiv-theoretisches Wissen: „Fachwissen“

empirische Aussagen

Verfügungswissen: Anwendungswissen – Wie kann ich etwas tun?

empirische Aussagen

Orientierungswissen: Ethisches Wissen – was soll ich tun? Fragen nach verantwortungsvollem Handeln.

normative Aussagen

Ziel des CU: Fragen zum verantwortungsvollen Handeln auf Grundlage des Wissens, zur verantwortungsvollen Anwendung des Wissens; Unterscheidung normativer und empirischer Aussagen

Folgerungen für den Unterricht

Unterricht: Zusammenfassung der sich ergebenden Ziele

  • Fachmethoden kennen und anwenden können [Kompetenzen im Bereich Erkenntnisgewinnung, Kommunikation]
  • normative und empirische Aussagen unterscheiden, Anwendungswissen [Kompetenzbereich Beurteilen]
  • scientific literacy
  • Erkenntnisgewinnung verstehen und zunehmend selbstständig umsetzen

Wie kann über die „Natur der Naturwissenschaften“ gelernt werden?

  • Forschendes Lernen: Erkenntnisgewinnung selbst durchführen (muss gelernt werden!)
  • historischer Zugang: Die Entwicklung des Wissens in einem Bereich nachvollziehen
  • reflexiver Zugang: Nachdenken über Prozesse der Wissensgewinnung und Aussagekraft/ Reichweite/ Grenzen. Was wurde wie erkannt? Konstruktion des Wissens

Unterrichts-“Konzeptionen“ und Ansätze, die geeignet sein können:

  • wissenschaftstheoretische Ansätze, forschendes Lernen
  • kontext- und lebensweltbezogene Ansätze
  • genetisches Lernen/ historisch-genetischer Ansatz

typisch für diese Ansätze: wissenschaftliches Handeln, Reflexion Über Wissensproduktion und Lernprozesse

ABER ACHTUNG: Die Erkenntnisgewinnung ist nicht schematisiert!

Der Unterricht darf es also auch nicht werden. Die Umsetzung der Ansätze in „Reinform“ verführt zur schematischen Erstarrung.

Induktion und Deduktion…

…können Schüler automatisch.

…machen Menschen ständig.

Wichtig für den Unterricht:

  • kritische Induktion (Überprüfung der Aussagekraft der Verallgemeinerungen, ihrer Basis etc.)
  • kritische Deduktion – Die Wissensbasis reicht oft nicht für „richtige“ Schlüsse – es ergeben sich Probleme aus fehlerhafter Deduktion. Diese sind wunderbare Ausgangspunkte für den Unterricht. Die Unrichtigkeit des Deduktions-Schlusses kann (experimentell) gezeigt werden, das zu Grunde liegende Wissen wird in-Frage-gestellt… Überprüfung von deduktiven Schlüssen als „Problemstellung“ nutzen („kognitiver Konflikt“).

Verallgemeinerungen aus einem einzigen Beispiel sind immer schlecht.

Mehrere Phänomene heranziehen.

Die Probleme der Verallgemeinerung klären.

Keine Deduktion ohne Überprüfung.

Erkenntniswege im Unterricht

Schwerpunkte setzen:

Ausschnitt aus einem Erkenntnisweg

z.B.: Phänomen betrachten – Hypothesen bilden (induktiver Schritt)

Folgerungen aus Hypothesen überprüfen (deduktiver Schritt)

Experimente zur Überprüfung planen, die Aussagekraft der Ergebnisse reflektieren

Modellieren – Hypothesen/ Theorien erklären

usw.

Fernziel: Die Schüler konstruieren ihren Erkenntnisweg selbst.

Mindestanforderung: Der Erkenntnisweg ist transparent und schlüssig.

naturwissenschaftliche Arbeitsweisen nutzen

Entscheidend ist die sinnvolle Einbettung in den Unterricht im Sinne der Konstruktion eines schlüssigen Erkenntnisweges.

Schwerpunktsetzung! Weniges gründlich statt vieles beiläufig.

Es muss immer klar sein, was warum wie mit welchem Ziel gemacht wird.

Kompetenzentwicklung: Die Schüler nutzen geeignete Arbeitsweisen selbstständig

  • Beobachten, Messen
  • Vergleichen, Ordnen
  • Erkunden, Experimentieren
  • Vermuten, Prüfen
  • Diskutieren, Interpretieren
  • Modellieren, Mathematisieren
  • Recherchieren, Kommunizieren

Was immer beachtet werden muss – Zusammenfassung

Verallgemeinerungen auf Basis mehrerer Phänomene und nie kritiklos.

naturwissenschaftliche Arbeitsweisen lernen und nutzen.

Arbeitsweisen in einen sinnvollen Erkenntnisweg einbetten.

Erkenntnisweg muss transparent sein.

scientific literacy fördern.

Wissenschaftlich korrektes Arbeiten – „Bestätigungsexperimente“ (Verifizieren einer Theorie) gehen gar nicht.

Schematisierungen meiden – Vorgehensweisen passend konstruieren. Schüler nicht in Denkbahnen „einfahren“, sondern zu eigenem Denken erziehen (nötigen) – produktives Denken.

Fehler und Irrwege zulassen – diese sind wichtiger Teil der Erkenntnisprozesse.